22. Oktober

Vom Birklehof zum Kunstpreis: Young-Sik Lees bewegender Weg

„Am Birklehof erlebte ich ein stilles und tiefgreifendes Wunder.“ Mit diesen Worten erinnert sich der Altschüler und Künstler Young-Sik Lee an seine Schulzeit am Birklehof, den er von 1996 bis 1998 besuchte.

--- --- --- Was macht eigentlich ...?

Getreu unserem Anspruch „Das Wir leben, das Ich finden“ sind alle Altbirklehoferinnen und Altbirklehofer ihren ganz persönlichen, spannenden Weg gegangen. Sie tragen alle zur großartigen Vielfalt der Birklehof-Gemeinschaft bei.

Mit unserer Rubrik „Was macht eigentlich …?“ wollen wir unsere Alumni und ihre spannenden Biografien vorstellen und zeigen, wie der Birklehof sie und ihren Lebensweg geprägt hat. Unser Wunsch ist es, die Menschen rund um den Birklehof näher zusammenzubringen, damit sie sich gegenseitig inspirieren.

Ein prägendes Schicksal

Mit erst acht Jahren erlitt Young-Sik Lee in Südkorea einen schweren Unfall, der ihn mit einer Lähmung der rechten Körperseite und einem Sprachverlust zurückließ. Nach einer langwierigen Rehabilitation in Heidelberg kehrte er zunächst nach Südkorea zurück, um seine in Deutschland verloren gegangene Muttersprache wieder zu erlernen. Im Jahr 1996 kam er wieder nach Deutschland und ging auf Empfehlung seines Arztes auf den Birklehof.

Er habe sich davor wie ein Tier gefühlt, „das von einer Kugel namens Schicksal getroffen wurde“. Der Birklehof entwickelte sich für Young-Sik Lee zu einem „therapeutischen Nest“. Dank der geduldigen Zuwendung seiner Lehrer, seines Mentors und seiner Schulfreunde erlebte er hier die „entscheidende Heilung seines Lebens“. Am Birklehof erfuhr er auch seine erste künstlerische Anerkennung für die Gestaltung des Umschlags eines Birklehof-Heftes.

Der Birklehof als Wendepunkt

Fast drei Jahre war Young-Sik Lee am Birklehof. Die Zeit nutzte er, um wieder auf die Beine zu kommen und mit seiner körperlichen Einschränkung leben zu lernen. Nach dem Besuch der Abendakademie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studierte er zunächst Malerei an der Freien Akademie für Kunst in Berlin und anschließend Kommunikationsdesign und visuelles Design an der ehemaligen Berliner Technischen Kunsthochschule.

Seit 2002 lebt und arbeitet Young-Sik Lee als freischaffender Künstler in Berlin. Seine Bilder gehören zur figurativen Malerei, die Grundlagen erlernte er beim Leipziger Maler und Grafiker Herbert Viecenz, der sein persönlicher Lehrer wurde. Viecenz wiederum war Schüler von Gottfried Bammes, Professor für Künstleranatomie an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Seine Lehr- und Handbücher sind Standardwerke der Künstleranatomie.w

 

Figurative Malerei mit Tiefe

Das Markenzeichen von Young-Sik Lee sind sinnbildhafte Tier-Mensch-Szenen, die er in farbenprächtiger altmeisterlicher Manier ausführt. Er vertieft und transformiert ein Thema in verschiedene Formen, seine Bilder können als eine Sequenz oder Variation eines Motivs beschrieben werden. In der detailgetreuen Darstellung sowie dem Spiel der Farben, die Young-Sik Lee in seinen Arbeiten zur Perfektion entwickelt hat, erkennt man den Einfluss der chinesischen Kultur, der ältesten Kultur Asiens.

Er mache keine Kompromisse in der Detailtreue seiner Bilder, sagt Young-Sik Lee, was ihm viel Zeit und Schweiß abverlangt. Sein Ziel sei es, eine bestimmte Stimmung zu vermitteln, die den Betrachter in den Bann ziehen sollen. So nimmt er beispielsweise Tiere aus ihrer natürlichen Umgebung heraus und bildet sie zusammen mit Menschen oder Gegenständen aus unserer Zeit ab. Auf seinen Leinwänden begegnen sich Menschen und Tiere dynamisch, beladen mit eigenen Metaphern und Symbolen. Dabei hebt er die Grenzen zwischen menschlichem und tierischem Verhalten auf und reflektiert die heutige Zeit und die Weise, „in der wir uns die Welt untertan machen“.

Aktuell beschäftigt sich Young-Sik Lee mit dem Thema „Exodus (Aufbruch) und Nestos (Rückkehr)“. Die Protagonisten von Exodus sind Jason und Medea. Im Zentrum ihres Aufbruchs und ihrer Rückkehr steht „Das Goldene Vlies“, eine Utopie der Menschheit, die in der Luft hängt. Neben den ausgewählten Beispielwerken, die Young-Sik Lee uns für diesen Beitrag zur Verfügung gestellt hat, finden sich zahlreiche Abbildungen auf seiner Homepage unter www.leeyoungsik-art.com.

Erfolge und neue Ziele

In den Jahren 2023 und 2024 wurde Young-Sik Lee mit insgesamt vier Kunstpreisen ausgezeichnet: dem International Prize Michelangelo in Rom, dem Premier Artist Prize 2024 in Japan, dem 6. International Prize Leonardo Da Vinci in Mailand und erst vor wenigen Wochen dem International Art Prize PHOENIX in Venedig. Die Frage, welche Bedeutung diese Auszeichnungen für einen Künstler haben, erläutert Young-Sik Lee in seiner Dankesrede zur Preisverleihung in Venedig: „Ein Maler ist ein freischaffender Beruf. Manchmal verliert man im Gefängnis, seinem Atelier, den Orientierungssinn und den Punkt, an dem die eigene Arbeit angekommen ist. Manchmal zweifelt man, ob die Arbeit dem Zeitgeist entspricht. Ein Kunstpreis ist wie eine grüne Ampel oder ein Leuchtturm für mich. Er zeigt mir, dass meine Arbeit den Zeitgeist trifft und die Zeitgenossen davon überzeugt, dass ich vorankommen kann. Die vier Kunstpreise, die ich 2023 und 2024 von italienischen und japanischen Kunststiftungen erhalten habe, sind für mich eine solche Bestätigung.“

Vor ein paar Tagen präsentierte Yong-Sik Lee seine Werke bei der Ausstellung „International Contemporary Art Fair“ im Carrousel du Louvre mit jährlich mehr als 10.000 Besuchern in Paris. Zudem wurde er gebeten, Bachelor-Studenten einer Berliner Kunstschule Tierzeichnung zu unterrichten. „Die künstlerischen Höhen, die ich erklimme, sind abstrakt und schwindelerregend“, sagt Yong-Sik Lee. Aber er verfolge weiterhin ruhig seinen künstlerischen Weg, ohne sich den Anforderungen von Sammlern oder Galeristen anzupassen.

Die Frage, welche Bedeutung der Birklehof für ihn hatte, beantwortet Young-Sik Lee mit folgendem Satz: „Der Birklehof bleibt mein wertvollstes Territorium, mein dankbarstes Universum in der unglücklichsten Zeit meines Schicksals.“ Wir danken Young-Sik herzlich für diese wertschätzenden und bewegenden Worte und wünschen ihm viel Erfolg und weitere Bestätigungen auf seinem kreativen Weg.

Fotos: Young-Sik Lee
Text: Elisabeth Ilg

Körperbilder und Identitäten

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