15. Februar

Jugend ohne Gott

Nach drei Jahren Zwangspause durfte die Birklehof-Gemeinschaft wieder eine Theateraufführung von Schülerinnen und Schülern beim Elterntreffen erleben. Mit „Jugend ohne Gott“ von Tina Müller (2019) nach dem Roman (1937) von Ödön von Horvath hat sich die Theater-AG unter der Leitung von Janine Koch ein aktuelles Stück mit brisantem Thema vorgenommen.

Hohn und Spott für Moral und Pädagogik 

„Niemand denkt wie ein Lehrer.“ Die Schülerinnen und Schüler der Klasse, so gegensätzlich und zerstritten sie sonst untereinander sind, darin sind sie sich einig: Dem Typ da vorne mit seinen humanistischen Phrasen glauben sie nichts mehr. Seinen hilflosen Appellen gegen Rassismus begegnen sie mit Hohn und Spott, sein moralisches Reden persiflieren sie mit Lispeln.

Unsicher und verloren  

Erst in ihren Monologen werden Erwartungen, Ängste und Widersprüche der Figuren sichtbar. Eine Schülerin konstatiert: „Wir sind im Teufelskreis unserer Erwartungen.“ Ein Schüler empfindet sich als „zu klein, das Große zu tragen“ und fühlt den „Zwang zur gesunden Ignoranz“. Ein andere behauptet: „Die Zeit der Utopien ist vorbei.“ Gegen das System sei der Wille alles, er droht: „Wir kommen als Feinde.“

Eine möchte die Menschen in der Natur aussetzen, auf dass sie erkennen, dass Menschen auch Tiere sind. Eine andere entdeckt in sich ein Liebesgefühl, über das sie erst erschreckt, sich dann freut und für das sie sich schließlich schämt. Die Nächste fragt an den abwesenden Lehrer gerichtet: „Vielleicht können Sie mir einmal helfen?“ Nur ein Mädchen hat sich aus diesem System befreien können, lebt abseits von dem Ferienlager in einer stillgelegten Fabrik und ist in der Lage, das Geschehen zu reflektieren.

Wer ist schuldig? 

Dann ist eine der Schülerinnen tot − und das Drama kreist fortan um die Frage, wer sie getötet hat. Die Schülerinnen und Schüler beschuldigen sich gegenseitig – und bestreiten die Tat. Schließlich bezichtigt der Lehrer sich selbst, um die Schuld auf sich zu nehmen und den Täter oder Täterin, seine Schüler:in, zu decken − ein letzter verzweifelter Versuch, Verantwortung zu übernehmen. Doch wird nun auch das Publikum als Chor miteinbezogen und sagt Sätze wie: „Die Schuld zieht wie Kreise über uns.“ Und es wird klar, dass alle Schuld auf sich geladen haben: die selbstgerechten, verhärteten Jugendlichen, der Lehrer, dessen lebensferne Pädagogik und nur behaupteten Moral deren Wünsche, Hoffnungen und Ängste nicht mehr erreicht, und auch das Publikum, das in Passivität verharrt.

Undurchdringliche Augen 

Als am Ende das Mädchen „mit den Fischaugen“ als Täterin überführt wird und flieht, ist das fast schon nebensächlich. Sie war von Anfang die Verschlossenste von allen, durch ihre “Fischaugen” ist kein Blick mehr in die Seele möglich gewesen. Ungerührt räumen die zurückgelassenen Schülerinnen  und Schüler die zugemüllte Szenerie auf.

Herausragendes Schauspiel, spannende Regie 

Mit großem Applaus bedachte das Publikum des am Donnerstag und Samstag bis zum letzten Platz gefüllte Musikhaus die herausragenden schauspielerischen Leistungen der Schülerinnen und Schüler. Dylan (Q1), Fey Fee (Q1), Lilly (9B), Tsaio Hsiu (Q2), Ida (7), Janniko (Q1) und Rona (8) gaben den typisierten Figuren, die nur mit Initialen gekennzeichnet sind, ein authentisches, überzeugendes Lebensgefühl. Die Regie schuf mit Videobotschaften auf den Leinwänden und dem Spiel mit dem Publikum eine jederzeit spannende und herausfordernde Inszenierung. Das Bühnenbild mit einer in den Raum ragenden Rampe sorgte für interessante Perspektiven und Einblicke, unterstützt von dem Technik-Team und seiner einfallsreichen Lichtführung.

Theaterarbeit mit hohem Wellengang 

Im Gespräch berichtet Regisseurin und Leiterin der Theater AG, Janine Koch, von der Probenarbeit mit den Schülerinnen und Schülern. „Es war ein ziemlicher Wellengang, mal supereinfach und es kam viel kreativer Input, mal superschwierig. Aber das ist normal, Theaterarbeit läuft nie linear.“ Die Gruppe sei sehr heterogen gewesen, nicht nur vom Alter, sondern auch vom Spielverhalten, Birklehof-typisch waren zudem viele eingebunden in andere Aktivitäten, sodass die Gruppe selten komplett war.

Zunächst wurde der Text gelesen und die Figuren in der Improvisation entwickelt, erst anschließend die einzelnen Rollen besetzt.  Sehr offen und kreativ sei die Gruppe gewesen, aber auch kritisch und hinterfragend. „Doch es gab nichts, was die Schülerinnen und Schüler nicht gemacht haben. Sich haben sich auf alle Vorschläge eingelassen und mir ihr Vertrauen geschenkt“, so die Regisseurin.  

Kreatives Bühnenbild

Auch das Bühnenbild ist von den Schülerinnen und Schülern entwickelt worden, die Rampe in den Zuschauerraum war ihre Idee. Die Frage, welche Requisiten es in einem Klassenzimmer braucht und mit was sich dort gut spielen lässt, wurde kurz vor Aufführung beantwortet: Papier. Kurzerhand wurde das ehemalige Lehrerzimmer im Haus Klöter, das bald abgerissen wird, ausgeräumt.

Die Leidenschaft am Birklehof leben  

Für Janine Koch, Lehrerin für Deutsch und Französisch und Hauserwachsene im Petersbau, war Theater schon immer ein wichtiger Bestandteil in ihrem Leben. In Freiburg hat sie berufsbegleitend eine Ausbildung zur Theaterpädagogin absolviert. Am Birklehof hat sie die Räume und Möglichkeiten, ihrer Leidenschaft nachzugehen. „Der Bereich Musik und Kunst (Muk) ist attraktiv. Jenseits von Klausuren, Unterrichtsvorbereitung, Tests, Vokabeln und starren Strukturen mit Schülerinnen und Schülern an solchen Theaterprojekten arbeiten zu können, ist das, was ich möchte.“

Vielversprechender Neustart der Theater AG

Nach dem erfolgreichen Neustart der Theater-AG hofft Janine Koch nun auf Kontinuität. Mindestens acht Schülerinnen und Schüler sind für das Zustandekommen einer AG notwendig. Nach den hinreißenden Aufführungen beim Elterntreffen darf sie mit gutem Grund optimistisch sein, dass sich in Zukunft noch mehr Schülerinnen und Schüler für das Theaterspiel am Birklehof begeistern.

Fotos: Hanspeter Trefzer, Wolfgang Finke
Text: Wolfgang Finke

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