21. Februar
Niemand geht ganz vom Birklehof − Interview mit Agathe Hamerlik
Seit 13 Jahren unterrichtet Agathe Hamerlik als Lehrerin für Deutsch und Geschichte und ist zugleich Hauserwachsene am Birklehof. Zum Sommer sucht sie nun neue berufliche Herausforderungen und wird sich dann vom Birklehof verabschieden. Wir sprachen mit ihr über ihre Erfahrungen und Einsichten.
---- 🙂 ---- Menschen am Birklehof
Auf die Menschen kommt es an
Die Menschen machen unsere Schule so besonders. Sie leben Gemeinschaft und geben Geborgenheit, bieten Freiheit und Individualität, erwarten Verantwortung für sich selbst und andere. Jede und jeder von ihnen bringt eine eigene Geschichte mit und prägt so unserer Schule. An dieser Stelle werden wir regelmäßig die besonderen Menschen am Birklehof und ihre Geschichten vorstellen.




Wenn man 13 Jahre am Birklehof lebt, werden dann die Geländebewohner:innen zu Familienmitgliedern?
AH: 13 Jahre sind eine lange Zeit. Es gibt Weggefährten wie Rosemarie Köller oder Peter Itzen. Die sind wie Familienmitglieder. Rosemarie Köller und ich kamen hierher als Berufsanfänger. Man hat das Studium, man hat das Referendariat, aber man wird nicht auf das Internat vorbereitet. Man springt wirklich in dieses kalte Wasser. Und wenn es da auch Andere gibt, denen es genauso geht, dann unterstützt man sich. Und mit dieser Unterstützung schafft man es tatsächlich auch richtig gut. Und nach 13 Jahren ist das dann nicht mehr nur Kollegialität, nicht mehr nur Freundschaft, sondern es ist wirklich Familie.
Stell dich bitte kurz vor: Wer ist Agathe Hamerlik?
AH: „Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?“ heißt es ja. Klar ist die Bezeichnung: Internatslehrerin und Hauserwachsene. Aber das Spektrum der Aufgaben, die wir machen, kann gar nicht aufgezählt werden. Natürlich gibt es den Unterricht in den Fächern Deutsch und Geschichte, aber der Birklehof bietet so viele Möglichkeiten, sich zu entwickeln, in alle Bereiche reinzuschnuppern und tätig zu werden.
Ich habe mit Nick Proczyk vor fast zehn Jahren den Duke of Edinburgh eingeführt, ich war mit Magnus Pollak in der Unterrichtsorganisation tätig, also in der Stundenplanung und Vertretungsplanung. Dann war ich auch Betriebsratsvorsitzende und Delegierte des Kollegiums im Schulverein. Das ist alles zusätzlich neben dem Unterricht.
Und dann gibt es den großen Bereich Internat, den ich immer als meine Kernaufgabe gesehen habe. Das Spektrum ist enorm. Ich bin die Hauserwachsene, aber auch diejenige, die die Regeln ansagt, und diejenige, bei der sich die Mädchen ausweinen. Ich betreue seit 13 Jahren die Mädchen in der Profilstufe (Klasse 8-10). Ich sage immer „die Damen im besten Alter“. Das ist eine sehr schwierige, eine herausfordernde Phase, sowohl für die jungen Damen als auch für mich. Das kann man nicht lernen, die Erfahrungen muss man machen. Nach vielen, vielen Jahren stellt sich eine gewisse Routine ein, dass man weiß: Ok, jetzt ist diese Phase, wie reagiere ich darauf? Welche Freiräume muss ich lassen? Wo muss ich vielleicht doch eine Grenze setzen? Und immer muss man den jungen Damen vermitteln: „Es ist völlig normal, was hier passiert.“ Sie zweifeln in dieser Phase am meisten an sich selbst. Meine Aufgabe sehe ich darin, sie zu bestärken, dass das völlig normal ist. „Die nächsten zwei Jahre werden schwierig: Du wirst selbst nicht wissen, was mit dir passiert. Du wirst nicht wissen, warum du gerade lachst, warum du gerade weinst. Aber das ist normal und das geht vorbei. Das verspreche ich dir!“ Und das hat bis jetzt immer funktioniert.
Was ist die größte Herausforderung?
AH: Das ist tatsächlich etwas total Simples: Schlaf. Schlaf ist etwas Wunderschönes. Wenn man sich ein wenig auskennt mit der körperlichen und psychischen Entwicklung in der Adoleszenz, dann ist es klar: Die Damen sind nicht um 22 Uhr bettfertig. Um 22 Uhr beginnt sozusagen das Leben. In meiner Anfangszeit war das schwierig für mich. Mittlerweile genieße ich das. 22 Uhr ist Handy-Abgabe und wir sitzen hier alle noch im Gemeinschaftsraum und dann beginnen die Mädelsgespräche.
Ich habe dieses Jahr eine wundervolle Hauszusammensetzung. Und sie suchen auch die Gespräche mit mir. Da kommt wirklich alles auf den Tisch, was Mädchen in diesem Alter beschäftigt. Wo ich mich ab und zu auch zurückziehe und sage: „Oh, das ist jetzt so privat, da braucht ihr eure alte Hauserwachsene nicht.“
Ich glaube, wir profitieren beide voneinander, die jungen Damen und ich. Ich finde es in diesem Jahr wirklich sehr bereichernd.
Du hast auch viele internationale Schülerinnen in deinem Haus, die oft zum ersten Mal in Deutschland sind. Wie groß ist die Integrationsleistung?
Die Internationalität hat zugenommen. Ein Drittel meiner Hausbesetzung kommt aus diversen Ländern. Das musste ich auch erst für mich lernen, finde es aber sehr bereichernd. Ich bin ja dafür bekannt, dass ich gerne dekoriere und es den Mädchen schön machen will. Früher wurde nur zu Weihnachten und zu Ostern dekoriert. Mit meinem Reifwerden habe ich erkannt: Es gibt so viel mehr. Wir haben viele chinesische Schülerinnen und Schüler, warum nicht das chinesische Neujahr oder das Laternenfest feiern. In den letzten Jahren haben wir gemeinsam mit den Mädels das eingebracht, dass wir die internationalen Feste im Haus zumindest dekorieren und auch feiern. Und vor allem haben wir auch ein Bewusstsein dafür an der Schule geschaffen haben. Ich habe auch das Gefühl, dass wir alle davon profitieren.
Ihr Auftritt zum chinesischen Neujahrsfest in der Schulversammlung im Januar war atemberaubend.
Ah. Ja, meine Mädels.
Was ist die schönste Belohnung, die man als Hausbewohner erhält?
AH: Wenn man bei der Abiturfeier sieht, wie aus den Mädchen wirklich junge Damen geworden sind. Sie kommen oftmals in der 8. Klasse zu uns, sind manchmal mit sich und der Welt nicht im Einklang, und dann stehen nach vier, fünf Jahren junge, selbstbewusste Abiturientinnen da, die wirklich bereit sind für die Welt da draußen. Man denkt sich: „Hach, ich hatte zwei Jahre meinen Anteil daran.“ Man ist stolz, und ich habe dann auch Tränen in den Augen.
Was wirst du vermissen?
AH: Ich werde die Menschen vermissen, die Mitarbeiterschaft. Ich werde die Schülerinnen und Schüler vermissen. Der Birklehof ist schon eine ganz besondere Gemeinschaft.
Was nimmst du mit vom Birklehof?
AH: Eine Birklehof-Tasse – und all die Erfahrungen, die ich gemacht habe. Ohne die 13 Jahre Birklehof wäre ich ganz sicher nicht die Pädagogin, die ich jetzt bin. Wäre ich im Staatsdienst geblieben, hätte ich nicht den Zugang und das Verständnis für Jugendliche bekommen, was ich hier gelernt habe.
Wann sehen wir dich wieder?
AH: Niemand geht ganz vom Birklehof. Das ist eine Erfahrung, die wir alle kennen. Weil ich hier sehr viele liebe Menschen zurücklasse, die ich aber gerne wiedersehen möchte, wird mich der Birklehof nicht ganz los.
Vielen Dank für das Gespräch.
Fotos & Text: Wolfgang Finke

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